Ein „blühendes“ Jubiläumsjahr: 125 Jahre St. Paulus Stift

Die Geschichte des Stifts ist lang und bewegt. Gründer und Wegbereiter Prälat Jakob Friedrich Bussereau (1863 – 1919), der selbst unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen ist, wollte zunächst in Herxheim (Pfalz) eine „Anstalt für unheilbar Kranke“ aufbauen. Aber keine Verwahrung wie es damals üblich war, denn es ging ihm um viel mehr, als um die rein körperliche Versorgung. Bussereau wollte für Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen und von Mildtätigkeit abhängig waren, eine Heimat entstehen lassen, wo sie in Würde leben konnten, eine familiäre Gemeinschaft schaffen, in denen sie akzeptiert und respektiert wurden und wo es ihnen möglich war ihre individuellen Begabungen zu entfalten. Heute klingt das normal, doch vor 125 Jahren klang diese Idee völlig neu, fast revolutionär. Nachdem er 1896 in Herxheim mit tatkräftiger Unterstützung der Schwestern vom hl. Paulus mit dem Aufbau einer solchen Einrichtung begann, kaufte er bereits ein Jahr später (1897) das Riedel’sche Anwesen in Neuötting und legte damit den Grundstein für das heutige St. Paulus Stift, wie wir es kennen. Sein Grundgedanke, dass alle Menschen, ungeachtet ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten, den gleichen Wert haben und mit Liebe und Respekt behandelt werden sollten, ist bis heute geblieben. „Omnibus omnia“ – „Allen alles werden“ (1 Kor 9,22) war sein Leitmotiv. Dieses Leitmotiv wurde und wird in allen Wohn- und Unterstützungsangeboten des St. Paulus Stifts seither gelebt und bildet noch heute einen der Grundpfeiler in der Arbeit für und mit Menschen, die hier ihr Zuhause gefunden haben. Zunächst nur für Mädchen und Frauen vorgesehen, dauerte es gut 90 Jahre bis die ersten Männer ins Stift einzogen. Heute leben 211 Menschen mit Behinderung in den unterschiedlichsten Wohn- und Betreuungsformen in Neuötting, Altötting und Burghausen. In der hauseigenen Förderstätte, Tagesstätte, sowie Arbeitstrainings stehen die unterschiedlichsten Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben kontinuierlichen Umbauten, Sanierungen und heil-pädagogischen Neuausrichtungen wurde stetig investiert, neu gedacht, altes hinterfragt und wieder mit frischen Ideen von neuem begonnen, wobei das Erbe Busseraus stets das Tun begleitete. Die letzte größere Investition war die Sanierung der denkmalgeschützten Katharinenburg, die von 2012 bis 2016 für 3.850.000€ modernisiert wurde. An den Kosten beteiligten sich der Freistaat, der Bezirk Oberbayern und die Aktion Mensch. Hierbei legten die Verantwortlichen großen Wert darauf, dass die Aufträge, wann immer möglich, regional vergeben wurden. Auch mit einem 2006 begonnenen bundesweit einmaligen Projekt kann das St. Paulus Stift aufwarten: einer Glaswerkstatt im Rahmen des Arbeits- und Beschäftigungstrainings für Menschen mit psychischer Erkrankung, in der bis heute noch Glaskunst entsteht.

„‘Mittendrin statt nur dabei‘, so lautet unser Grundsatz und genau das wollen wir den Menschen ermöglichen“, erklärt die Geschäftsbereichsleiterin des St. Paulus Stifts Manuela Schachtner. „Wir passen uns den Bedürfnissen und Bedarfen der Menschen an, die wir begleiten, nicht umgekehrt. Die Menschen sollen hier ein lebensfrohes Zuhause finden, es soll ihnen gut gehen und sie sollen sich angenommen und wertgeschätzt fühlen. Das geht nur, wenn die individuellen Bedürfnisse jedes Menschen wahrgenommen und geachtet werden, notwendige Hilfe angeboten wird und der respektvolle Umgang auf Augenhöhe erfolgt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten die Menschen auf ihrem Lebensweg und stehen ihnen als Partner*innen in allen Lebensfragen zur Seite. Wir wollen, dass die Menschen ein, soweit als möglich, selbstbestimmtes Leben führen können und sie sich als Teil der Gemeinschaft erleben“, so Schachtner weiter. Eigentlich stand seit langem ein großes Sommerfest zum 125-jährigen Jubiläum auf der Agenda, doch durch die Corona-Pandemie sind die Planungen mit einem großen Fragezeichen versehen. Denn Feste und Veranstaltungen sind fest verankert im St. Paulus Stift – immer offen auch für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Nicht selten werden Feste auch zusammen mit einem örtlichen Verein veranstaltet. Eines gibt es aber trotz Pandemie ganz sicher: ein Blütenmeer im Frühjahr. Bereits im Herbst wurden im Rahmen der Aktion „Neuötting blüht auf“ 12.000 Blumenzwiebeln auf den Grünflachen zwischen dem Stift und der Katharinenburg gepflanzt. Gestiftet wurden diese vom Förderverein St. Paulus Stift Neuötting e.V.. Hyazinthen, Narzissen, Tulpen, Märzenbecher und viele andere Frühlingsblüher sollen im Jubiläumsjahr für Freude sorgen. „Wir werden sicherlich noch irgendetwas auf die Beine stellen können, um unser Jubiläum auch entsprechend zu feiern“ blickt Schachtner optimistisch auf das Jubiläumsjahr- denn mit den entsprechenden Hygiene- und Schutzkonzepten konnten auch im vergangenen Jahr einige Hofkonzerte und kleinere Wohngruppen bezogene Feiern im Stift stattfinden.

„In 125 Jahren gab es auch immer wieder Krisen, die nur mit unermüdlichem Einsatz überstanden werden konnten. Auch die letzten zwei schweren Jahre in der Pandemie haben uns viel Kraft und Herzblut gekostet. Aber so, wie wir mit Dankbarkeit und Respekt zurück schauen, schauen wir mit Zuversicht nach vorne.“ ergänzt die car.-pädagog. Vorständin Bettina Rieger und weiter: „denn Zukunft hat Herkunft.“