125 Jahre Paulus Stift Herxheim

Es begann mit einer Vision: Jacob Friedrich Bussereau (1863 – 1919) selbst unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen, wollte in Herxheim eine „Anstalt für unheilbar Kranke“ aufbauen. Aber kein bloßes Wegsperren, keine Verwahrung wie es damals Gang und Gäbe war und das Wort „Anstalt“ für unsere heutigen Begriffe vielleicht impliziert, sondern es ging ihm umso viel mehr als um das rein körperliche Versorgen. Er wollte für diese Menschen eine Heimat entstehen lassen, wo sie in Würde leben konnten, eine familiäre Gemeinschaft schaffen, in denen sie akzeptiert und respektiert wurden und wo es ihnen möglich war ihre individuellen Begabungen zu entfalten. Heute klingt das normal, doch vor 125 Jahren klang diese Idee völlig neu, fast revolutionär. Eine Idee, bei der der aus Hambach bei Neustadt/Weinstraße stammende Priester auch gegen viele Hindernisse und Widerstände ankämpfen musste. Doch mit starkem Willen und Durchsetzungskraft schaffte er es seine Vision einer Einrichtung für „die Ärmsten und Leidendsten“ der Gesellschaft zu verwirklichen: das St. Paulus Stift in Herxheim. Im April 1896 gründete er das Stift und arbeitete unbeirrt und unermüdlich weiter daran, die Stellung und das Wahrnehmen von behinderten Menschen in der Gesellschaft zu ändern. Seine Kraft und Motivation schöpfte er aus dem christlichen Glauben. Für Bussereau war „Nächstenliebe“, untrennbar mit „Gottesliebe“ verbunden. „Omnibus omnia“ – „Allen alles werden“ (1 Kor 9,22) war sein Leitmotiv. Dieses Leitmotiv wurde und wird in allen Wohn- und Unterstützungsangeboten der Jacob Friedrich Bussreau Stiftung seither gelebt und bildet noch heute einen der Grundpfeiler in der Arbeit für und mit Menschen, die bis heute im St. Paulus Stift ihr Zuhause gefunden haben- angelehnt an das christliche Menschenbild, in dem alle, ungeachtet ihrer körperlichen und geistigen Unterschiede und Fähigkeiten, vollen und gleichen Wert erfahren.

Doch wie so oft in der Geschichte eines erfolgreichen Mannes, hier Prälat Bussereau, wäre die Geschichte nur halb erzählt, wenn nicht zwei starke Frauen ihn unermüdlich unterstützt hätten, und für die Gründung und an den Aufbau des St.Paulus Stifts maßgeblichen Einfluss hatten. Die Rede ist von Anna Maria Dudenhöfer, der ersten Vorsteherin der Kongregation vom Hl. Paulus und Theresia Ohmer, die als Sr. M. Franziska zur ersten Generaloberin des Ordens gewählt wurde. Mit ihrem unerschütterlichen Idealismus trotzten sie allen Anfangsschwierigkeiten und stellten ihr Leben, gestützt durch ihren christlichen Glauben völlig in den Dienst des Nächsten. Damit trugen diese beiden Frauen mit den ersten 13 Ordensschwestern erheblich dazu bei, dass Bussereaus Pläne Wirklichkeit wurden. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, krempelten alle Schwestern, der Priester und die aufgenommenen Bewohner die Ärmel hoch und bewirtschafteten die umgrenzenden Wiesen, Äcker und Gärten. Damit war es ihnen möglich eine Selbstversorgung des Paulus Stift herbeiführen und gleichzeitig den Menschen mit besonderen Unterstützungsbedarfen eine sinnvolle Beschäftigung zu geben. Sein innovatives wirtschaftliches und auch weitsichtiges Verständnis wurde auch in der Mitarbeiterführung sichtbar. Er erkannte, dass die gleichen Prinzipien, die er im Umgang mit den hilfsbedürftigen Menschen zugrunde legte, auch unter seinen Mitarbeitenden gelebt werden sollten. Ihm wurde klar, dass man auf Dauer Würde, Aufmerksamkeit, Achtung und Solidarität nur dann weitergeben kann, wenn man sie auch selbst in der Dienstgemeinschaft lebt und erfährt. Bussereau als „Unternehmer“ erkannte, dass seine Mitarbeitenden die Grundlage seines Tuns bildeten und nur eine vertrauensvolle und auf Respekt fußende Mitarbeiter-Kultur auch zu Zufriedenheit führt.

125 Jahre sind vergangen und geblieben ist von Bussereau so einiges: „Wir passen uns den Bedürfnissen und Bedarfen der Menschen an, die wir begleiten, nicht umgekehrt“, erklärt die Geschäftsbereichsleiterin des St. Paulus Stift Herxheim Natascha Lettner. Die Menschen sollen hier ein lebensfrohes Zuhause finden, es soll ihnen gut gehen und sie sollen sich angenommen und wertgeschätzt fühlen. Das geht nur, wenn die individuellen Bedürfnisse jedes Menschen wahrgenommen und geachtet werden, notwendige Hilfe angeboten wird und der respektvolle Umgang auf Augenhöhe erfolgt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten die Menschen auf ihrem Lebensweg und stehen ihnen als Partner in allen Lebensfragen zur Seite. Wir wollen, dass die Menschen ein, soweit als möglich, selbstbestimmtes Leben führen können und sie sich als Teil der Gemeinschaft erleben. Heute leben im St. Paulus Stift in Herxheim 178 Erwachsene mit sogenannter geistiger Behinderung, davon 20 in unserem Haus Rülzheim und 20 in unserem Haus Edenkoben. In der Tagesförderstätte oder in der Seniorenbetreuung sind die Angebote so vielfältig wie die Menschen, denn im Mittelpunkt steht der Mensch.

Stiftungsvorständin Bettina Rieger ergänzt, dass es nicht die Worte sind, die uns auszeichnen, sondern unsere Taten. Ohne das hohe Engagement aller Haupt- und Ehrenamtlichen wäre das alles nicht möglich, und so ist mein DANKE an alle, die täglich das ihre dazu beitragen, nur ein kleines Wort, aber mit großer Bedeutung. Unsere Dienstgemeinschaft trägt uns immer wieder- besonders in schweren Zeiten, das erleben wir aktuell gerade auch in der Pandemiekrise.

Nach über hundert Jahren in denen sich die Schwestern um die Menschen im St. Paulus Stift und weiteren Einrichtungen kümmerten, wurde im Jahr 2002 die Jacob Friedrich Bussereau Stiftung gegründet und alle Einrichtungen in Rheinland-Pfalz und Bayern in die Trägerschaft der Stiftung überführt. Neben den vier Standorten in Rheinland-Pfalz (Herxheim, Rülzheim, Edenkoben und Gommersheim) gehören zur Jacob Friedrich Bussereau Stiftung auch vier Standorte in Bayern (Neuötting, Altötting, Burghausen und Winhöring).